: Serie von Schnaufpausen
Nach dem mummlosen Auftakt in der Champions League ist der FC Schalke 04 über sich selbst verärgert, ratlos zudem. Rudi Assauer bewertet das 0:1 in Eindhoven als „katastrophale Leistung“
AUS EINDHOVEN BERND MÜLLENDER
„So ist das gar nix“, schimpfte Schalkes Hamit Altintop spät am Abend, „wir haben ein Jahr hart gearbeitet für die Champions League – und dann so eine Leistung.“ Ratlos war auch Ebbe Sand: „Wenn man in der Champions League nicht sofort da ist, wird man bestraft.“ Und Manager Rudi Assauer, der über „eine katastrophale Leistung“ in der ersten Halbzeit mit „einigen Totalausfällen“ herumfranzelte, bekannte stinkig: „Ich bin unheimlich enttäuscht von der Mannschaft.“
Schalkes lange Zeit heil geredete Welt bekommt jetzt ansehnliche Risse. Mit dem 0:1 vom Eindhoven und dem mäßigen Start in die Bundesliga wächst allmählich der Druck auf die sportliche Leitung und die erneut investitionsfreudigen Macher. Bei einem Aus der Königsblauen in der Königsklasse schon in der Vorrunde müsste das Management bald neue finanzielle Löcher leugnen.
Man hätte in Eindhoven ein Lehrvideo drehen können mit dem Titel „Dummer Fußball – leicht gemacht“, Untertitel des Streifens: „So lähme ich mich selbst.“ Von gönnerhafter Harmonie in der Innenverteidigung („Nimm du den Mann, ich hab ihn auch nicht“), Laufverzicht („Hau ihn nach vorn, der Ball fliegt schneller, als du läufst“) und Zweikampfschwäche („Das Aua richtig vermeiden“). In den Hauptrollen: Lincoln – herzerfrischend gähnend schon beim Warmmachen. Kevin Kuranyi und Fabian Ernst – Synchronstolpern über neunzig Minuten. Und Altintop: Wie ich mit kreisklassigen Stellungsfehlern und Flankenscheu dem Trainer beweise, dass er mich auf der falschen Seite spielen lässt. Dazu ein Gastauftritt für putzige Arroganz: „Wenn wir eine normale Form gehabt hätten, hätten wir sie weggeputzt!“ (Rudi Assauer).
Es war weniger eine Frage von Form, sondern vom Manko an Willen und Aggressivität, also jener Sekundärtugenden, für die deutscher Fußball einst berühmt war. Trainer Ralf Rangnick attestierte seiner Elf, „nur mit halbem Herzen“ zu Werke gegangen zu sein. Erst in der zweiten Hälfte habe sein Team „mehr Zugriff“ gehabt, immerhin vier Torchancen gegen ermüdende Gastgeber sprangen heraus. Bei der Suche nach einem Schuldigen für das simple Gegentor (33. Minute) – Ecke, Jan Vennegoor springt auf der Fünfmeterlinie unbedrängt hoch und köpft leichtstirnig ein – kniff der angefressene Trainer: „Es gab keine klare Zuordnung. Wir spielen Zonendeckung.“
Ins Lehrvideo gehörte auch die Standarderklärung, dass man nur so stark spielt, wie es der Gegner zulässt. PSV-Kapitän Phillip Cocu sagte: „Wir haben unsere gute Organisation in der zweiten Halbzeit auch unter Druck behalten.“ Tatsächlich gestattet der PSV Gegnern, die nur knapp unter hundert Prozent bieten, kaum mehr als nichts. Das liegt an auffallender Grundschnelligkeit jedes Einzelnen und einem giftigen, laufintensiven System. Dem PSV macht es wenig aus, dass fünf Leistungsträger der Vorsaison (u. a. van Bommel, Vogel, Bouma) zu den Großen dieser Fußballwelt wechselten und Innenverteidiger Alex, „der Panzer“, derzeit verletzt ist.
Vernetztes Dickicht
Dann vernetzen sich eben andere zum Defensivdickicht. Und kontern versiert drauflos mit flinken jungen Außen, unterstützt von 30.000 fröhlichen Fans, die sich mit donnernden „boeren, boeren“-Chorälen als rülpsende Bauern feiern. Das niederländische Wort boeren heißt beides: rülpsen und Bauer.
Zudem scheint Hollands Fußball Talente in Gewächshäusern zu züchten. Ibrahim Afellay zum Beispiel, ein Bürschchen wie ein Realschüler. Der 19-Jährige war im Mittelfeld der überragende Mann und biss sich beim Interview verlegen auf die Lippen: „Fantastisch, Champions League ist eine tolle Erfahrung.“ Sein Trainer Guus Hiddink bescheinigte ihm: „Anfangs hat er zwei Fehler gemacht, aber schon im Spiel seine Lektion gelernt, dass das nicht mehr passiert.“ Schalkes Pendant hieß Rafinha, 20. Die brasilianische Zukunftsinvestition (fünf Millionen) spielte erstmals, zeitweise offensiv gefällig. Dafür hatte Rangnick Schalkes Grundstruktur spielhemmend umgebaut.
PSV-Teilzeittrainer Hiddink – er coacht nebenbei die australische Nationalelf – machte sich mit ernstem Gesicht ein Späßchen daraus, auch englische und deutsche Wörter in seinen Vortrag einzustreuen. Mal warnte der Fußball-Kosmopolit davor, „den Success zu Kopf steigen zu lassen“, mal lobte er seine Elf, „taktisch niet op Glatteis“ geraten zu sein, allen voran seine 34-jährige Herz-Lungen-Maschine Cocu, der immer im richtigen Moment „mal eine Schnaufpause eingelegt hat“.
Der FC Schalke war 90 Minuten lang Cocu: eine einzige Schnaufpause. Als Nächstes geht es gegen den AC Mailand. Fabian Ernst kündigte an: „Wir können noch schlechter spielen.“ Das sollte ein Scherz sein.